Motettenansprache zu BWV 79 "Gott der Herr ist Sonn und Schild"
- 28.10.2017
- Pfarrer Hundertmark
Motettenansprache zu BWV 79 „Gott der Herr ist Sonn und Schild“ am 29.10.2017, St. Thomas zu Leipzig um 15 Uhr
Psalm 84 bildet die biblische Grundlage für das Kantatenlibretto 2
Wie lieblich sind deine Wohnungen, HERR Zebaoth!
3 Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des HERRN; mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.
4 Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen – deine Altäre, HERR Zebaoth, mein König und mein Gott.
5 Wohl denen, die in deinem Hause wohnen; die loben dich immerdar.
6 Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln!
7 Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, / wird es ihnen zum Quellgrund, und Frühregen hüllt es in Segen.
8 Sie gehen von einer Kraft zur andern und schauen den wahren Gott in Zion.
9 HERR, Gott Zebaoth, höre mein Gebet; vernimm es, Gott Jakobs!
10 Gott, unser Schild, schaue doch; sieh an das Antlitz deines Gesalbten!
11 Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend. Ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Hause als wohnen in den Zelten der Frevler.
12 Denn Gott der HERR ist Sonne und Schild; / der HERR gibt Gnade und Ehre. Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen.
13 HERR Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf dich verlässt!
Liebe Motettengemeinde,
Gott der Herr ist Sonne und Schild, betet der Psalmbeter am Ende seines Psalms und steht damit symbolisch für all diejenigen, die erfahren haben, dass in entscheidenden Situationen ihres Lebens sie Gott als eben jenes Licht und jenen Schutz erfahren haben. Gerade da, wo menschliche Interessen zu Unehre und Verwerfungen führen, wird die Sehnsucht nach Zuwendung besonders groß. Allzu oft verlassen wir uns auf eigene Stärken, die ungemein nützlich und wichtig im Alltag sind, jedoch schnell an ihre Grenzen kommen, wenn es um so wichtige Dinge wie Liebe, Seelenfrieden oder Gelassenheit geht. „Halte dich an Jesus Christus“, erkannte Martin Luther in einem langen, für ihn auch qualvollen Erkenntnisprozess. Erlösung von allem, was dich menschengemacht niederdrücken will, erfährt der Mensch nicht aus sich selbst heraus oder über Heilige Mittler, sondern nur im Geschenk einer überbordenden Zuwendung und Liebe. Dafür haben wir in der Theologie das Wort „Gnade“. Gott will sie uns geben und verlangt dafür nicht mehr als ein bedingungsloses Vertrauen.
Im Eingangschor, der mit voller Festinstrumentalisierung ausgestattet ist, wird der letzte Vers aus Psalm 84 zitiert. Dort heißt es unter anderem „Der Herr gibt Gnade und Ehre“. Gott misst nicht mit Zwayerlei Maß. Sondern mit dem gleichen Maß seiner Güte und Barmherzigkeit bedenkt er alle, die ihm gegenüber Vertrauen aufbringen können.
Nun danket alle Gott
Ein darauf angemessene Dank drängt sich der Seele förmlich auf. Musikalisch unterstrichen wird das von J. S. Bach, indem er den allseits bekannten Choral „Nun danket alle Gott“ noch einmal in voller Festbesetzung zu Gehör bringt. Wir kennen den stillen Dank, für den wir keine Worte brauchen, der vielmehr im Herzen gesprochen wird. Gelegentlich jedoch ist es notwendig, Dank mit allem, was geht vor Gott zu bringen, weil er Seelennot gewendet hat.
Wo Gott ganz elementar als Sonne und Schild erfahren wurde, will jede Faser Dank sagen im Überschwange. So finden wir in der Choralstrophenbearbeitung mit der von den Bläsern eingewobenen Themenmelodie aus dem ersten Satz noch einmal den Grund für menschliches Danken in aller Festlichkeit.
Ja, zum Dank kommen wir oft nicht, weil schon wieder die nächste Aufgabe oder die nächste Bewährung vor uns liegen. Die Choralstrophe will uns einladen, hier umzudenken, den Blick zu wechseln hin zu dem Guten, was vielfach als selbstverständlich angesehen wird, um dem Dank einen angemessenen Zeitspanne zu geben.
An fremden Joch aus Blindheit ziehen müssen
Geschärfte Sinne, geöffnete Augen, um zu erkennen, zu wessen Knecht ich mich mache, sind insbesondere da wünschenswert, wo wir eingelullt werden von falschen Versprechungen. Handelt es sich bei diesen sogar um unser Seelenheil, so wird es im wahrsten Sinne des Wortes lebensentscheidend, woran ich mich halte, an wen ich mich wende. Lassen wir uns alles vorgaukeln, vorkauen oder nehmen wir den eigenen Verstand, um zu beurteilen, was richtig ist? In Bezug auf unseren Glauben gab es zur Reformationszeit den großen Konflikt zwischen einer Kirche, der mehr an Machterhalt und Machtzuwachs gelegen war als denn an den Menschen, die um ihr Seelenheil besorgt waren, weil überbordende Ängste sie in die Enge trieben. Darauf hatte die damalige Kirche keine adäquate Antwort. Vielmehr machte man sich diese Ängste zu Nutze, befeuerte sie, um daraus auch geschäftliche Vorteile zu ziehen – immer unter dem Deckmantel „Allein zu Gottes Ehre“.
Martin Luther und in seiner theologischen Gefolgschaft auch Johann Sebastian Bach haben den Deckmantel gelüftet, um das wahre „Soli Deo Gloria“ zum Vorschein zu bringen. Mein menschliches Tun gereicht Gott zur Ehre. Es ist aber nicht notwendig, um mir diesen Gott auf irgendeine Weise gnädig zu stimmen, weil er schon gnädig ist. In seinem Sohn Jesus Christus manifestiert sich diese Gnade. Der Blick auf Christus wird somit zum Wegweiser aus den Verirrungen eines Geistes, der sich allzu schnell unterjochen lässt, wo ihm dafür als Versprechungen ein bequemes Leben gegeben wird. Das in den Kasten fallende Geldstück führt die Seele eben nicht in den Himmel, sondern den Geist in die Dunkelheit. Dort wird er zum abhängigen Knecht.
Reformation will uns herausführen aus der Bequemlichkeit und sie will uns herausführen aus der Knechtschaft hin zur Freiheit des Gewissens. Das bedeutet dann aber auch, diesem zu folgen. Wo ich einem freien Gewissen folge, bleibt es nicht aus, sich auch einmal gegen alle zu stellen, die am fremden Joch ziehen, weil sie blind sind und gar nicht sehen, zu wessen Knecht sie sich machen.
Nehmen wir den Mut der Aufklärung, liebe Motettengemeinde, gepaart mit dem Vertrauen auf Jesus Christus, der unser Fürsprecher und Mittler ist, damit wir in Verantwortung vor dem, was uns christlicher Glaube mit auf den Weg gibt, unser Leben in Freiheit gestalten können.
Die wunderbaren biblischen Geschichten als große Kraftquelle zu entdecken, die uns dafür die notwendige Vergewisserung schenkt, das wünsche ich uns im Reformationsjahr und darüber hinaus. Möge uns Gott in der Wahrheit seiner Gnade und Liebe erhalten, damit wir ewigliche Freiheit geschenkt bekommen, die sich nicht an Dinge binden lässt, sondern an Menschen, die mir Gott zur Seite stellt. Mit solch gelebter Verantwortung kann darf und will ich Gott loben durch Jesus Christus und Dank sagen. Denn ER ist Sonn und Schild. Amen.
Martin Hundertmark, Pfarrer an der Thomaskirche zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)