Motettenansprache

  • 12.08.2017
  • Pfarrerin Taddiken

Johann Sebastian Bach, Kantate BWV 94 „Was frag ich nach der Welt" 1. Coro Flauto traverso, Oboe I/II, Violino I/II, Viola, Continuo Was frag ich nach der WeltUnd allen ihren SchätzenWenn ich mich nur an dir,Mein Jesu, kann ergötzen!Dich hab ich einzig mirZur Wollust fürgestellt,Du, du bist meine Ruh:Was frag ich nach der Welt! 2. Aria B Continuo Die Welt ist wie ein Rauch und SchattenDer bald verschwindet und vergeht,Weil sie nur kurze Zeit besteht.Wenn aber alles fällt und bricht,Bleibt Jesus meine Zuversicht,An dem sich meine Seele hält.Darum: was frag ich nach der Welt! 3. Choral e Recitativo T Oboe I/II, Continuo Die Welt sucht Ehr und RuhmBei hocherhabnen Leuten.Ein Stolzer baut die prächtigsten Paläste,Er sucht das höchste Ehrenamt,Er kleidet sich aufs besteIn Purpur, Gold, in Silber, Seid und Samt.Sein Name soll für allenIn jedem Teil der Welt erschallen.Sein Hochmuts-TurmSoll durch die Luft bis an die Wolken dringen,Er trachtet nur nach hohen DingenUnd denkt nicht einmal dran,Wie bald doch diese gleiten.Oft bläset eine schale LuftDen stolzen Leib auf einmal in die Gruft,Und da verschwindet alle Pracht,Wormit der arme ErdenwurmHier in der Welt so grossen Staat gemacht.Acht! solcher eitler TandWird weit von mir aus meiner Brust verbannt.Dies aber, was mein HerzVor anderm rühmlich hält,Was Christen wahren Ruhm und rechte Ehre gibet,Und was mein Geist,Der sich der Eitelkeit entreißt,Anstatt der Pracht und Hoffart liebet,Ist Jesus nur allein,Und dieser solls auch ewig sein.Gesetzt, dass mich die WeltDarum vor töricht hält:Was frag ich nach der Welt! 4. Aria A Flauto traverso, Continuo Betörte Welt, betörte Welt!Auch dein Reichtum, Gut und GeldIst Betrug und falscher Schein.Du magst den eitlen Mammon zählen,Ich will davor mir Jesum wählen;Jesus, Jesus soll alleinMeiner Seele Reichtum sein.Betörte Welt, betörte Welt! 5. Choral e Recitativo B Continuo Die Welt bekümmert sich.Was muss doch wohl der Kummer sein?O Torheit! dieses macht ihr Pein:Im Fall sie wird verachtet.Welt, schäme dich!Gott hat dich ja so sehr geliebet,Dass er sein eingebornes KindVor deine SündZur größten Schmach um dein Ehre gibet,Und du willst nicht um Jesu willen leiden?Die Traurigkeit der Welt ist niemals größer,Als wenn man ihr mit ListNach ihren Ehren trachtet.Es ist ja besser,Ich trage Christi Schmach,Solang es ihm gefällt.Es ist ja nur ein Leiden dieser Zeit,Ich weiß gewiss, dass mich die EwigkeitDafür mit Preis und Ehren krönet;Ob mich die WeltVerspottet und verhöhnet,Ob sie mich gleich verächtlich hält,Wenn mich mein Jesus ehrt:Was frag ich nach der Welt! 6. Aria T Violino I/II, Viola, Continuo Die Welt kann ihre Lust und Freud,Das Blendwerk schnöder Eitelkeit,Nicht hoch genug erhöhen. Sie wühlt, nur gelben Kot zu finden, Gleich einem Maulwurf in den Gründen Und lässt dafür den Himmel stehen. 7. Aria S Oboe d'amore solo, Continuo Er halt es mit der blinden Welt,Wer nichts auf seine Seele hält,Mir ekelt vor der Erden. Ich will nur meinen Jesum lieben Und mich in Buß und Glauben üben, So kann ich reich und selig werden. 8. Choral Flauto traverso in octava e Oboe I e Violino I col Soprano, Oboe II e Violino II coll' Alto, Viola col Tenore, Continuo Was frag ich nach der Welt!Im Hui muss sie verschwinden,Ihr Ansehn kann durchausDen blassen Tod nicht binden.Die Güter müssen fort,Und alle Lust verfällt;Bleibt Jesus nur bei mir:Was frag ich nach der Welt!Was frag ich nach der Welt!Mein Jesus ist mein Leben,Mein Schatz, mein Eigentum,Dem ich mich ganz ergeben,Mein ganzes Himmelreich,Und was mir sonst gefällt.Drum sag ich noch einmal:Was frag ich nach der Welt!________________________________________Besetzung Soli: S A T B, Coro: S A T B, Flauto traverso, Oboe I/II, Oboe d'amore, Violino I/II, Viola, ContinuoEntstehungszeit 6. August 1724Text 1,3,5,8: Balthasar Kindermann 1664; 2,4,6,7: Umdichtungen eines unbekannten BearbeitersAnlass 9. Sonntag nach Trinitatis

Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. 2 Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. 3 Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. 4 Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. 5 Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? 6 Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. 7 Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig. 8 Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts. 9 Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten. (Lukas 16, 1-9)

Liebe Gemeinde,
ist das nicht verkehrte Welt in dieser Geschichte vom unehrlichen Verwalter? Da lobt Jesus einen Haushalter, dem Veruntreuung vorgeworfen wird und sich, da an dem Vorwurf offensichtlich etwas dran zu sein scheint, durch einen kühl kalkulierten Betrug aus der Affäre zu ziehen versucht. Und auch wenn es hier nicht um Abgaswerte und Abschaltvorrichtungen geht - Betrug durch noch mehr Betrug zu vertuschen, das soll gutgehen und gutgeheißen werden? Nein, irgendwann kommt so etwas raus, immer, zum Glück.
Beim zweiten Blick auf die Geschichte ist es allerdings nicht dies, worauf Jesus als vorbildhaft hinweisen möchte. Ihm geht's um das, was am Ende dieses Gleichnisses zur Sprache kommt: Wie schnell und klug jemand vergängliche Güter einzusetzen weiß, um damit Größeres und Wichtigeres zu erreichen. „Macht Euch Freunde mit dem ungerechten Mammon". Klingt für uns erst mal nach Bestechung, gibt aber dem Mammon den Rang des Vorläufigen: ihn einsetzen, um das zu befördern, was man für Geld gerade nicht kaufen kann. Das, was wirklich wertvoll ist wie das Geschenk unseres Lebens, geliebt zu sein und wertgeschätzt. Das gibt ihm seinen einzigen Wert, das ist seine Aufgabe - dafür setzt ihn ein, sagt Jesus. Das Vorläufige einsetzen um vor allem von und mit dem zu leben, was wirklich zählt und wichtig

Der Text der heutigen Kantate ist voll von diesem Gegensatz bestimmt - und das in der damals gebräuchlichen üppigen Barocksprache. Das höchste Gut, nach dem der Christenmensch streben möge, ist die Ruhe, die Feste, die Substanz, die ein Leben im Glauben an Jesus Christus mit sich bringen kann. Klar und deutlich wird im Eingangssatz die Melodie des zugrundeliegenden Chorals „Was frag ich nach der Welt" in der höchsten Stimme des Chores durchgehalten. Welche Geschäftigkeit, welche Unruhe bringt es dagegen, den Schätzen der Welt nachzujagen. Das mag in dem dazu kontrastierenden bewegten Motiv der Flöte angedeutet sein. Im Folgenden steigert sich das noch. In der Sopranarie kurz vor Schluss heißt es gar: „Mir ekelt vor der Erden" - und wenn man in die vorhergehende Tenorarie schaut, dann findet man da wirklich drastische Bilder von maulwurfartigem Wühlen in „gelbem Kot", tatsächlich eklig.

Zunächst findet sich im Rezitativ nach dem Eingangschor aber erst einmal alles, was das Herz begehrt - oder nach den Maßstäben dieser Welt begehren soll: ein tolles Haus, super Erfolg im Beruf und natürlich ein perfektes Äußeres. Und wenn das erreicht ist, weitersehen, was kann man noch kriegen zum Glücklichsein. Sicher: Was man hat, beruhigt und gibt Sicherheit. Und wer vorgesorgt hat, kann mit einiger Zufriedenheit und einem guten Gefühl leben. Aber wir kennen auch alle diesen Sog, in den man geraten kann, wenn man versucht, damit die innere Leere zu füllen. Sich mit allem Möglichen vollzustopfen, um zu überdecken, dass da in uns etwas vielleicht schon länger nach ganz anderer Nahrung schreit. Und da geht's nicht nur um den Konsum - oder anderen Rausch, sondern auch darum, dass wir vor lauter Vorbeugen und Vorsorgen vergessen, zu leben. Wenn wir denn einmal alle schön, schlank und fit sind und steinalt werden- was fangen wir dann eigentlich damit an? Können wir das für etwas einsetzen oder war es das dann einfach?

Wenn es das dann einfach war, dann ist es nichts anderes gewesen, als das, was in der Kantate als „eitler Tand" bezeichnet wird. Als wertloses und vergängliches Gut, für das man, wie es in der Tenorarie am Ende heißt: den Himmel stehen lässt. Die ganze Kantate ist ein eindringlicher Appell an die Hörer, das nicht zu tun. Sondern, wie es in der Sopranarie heißt, etwas auf seine Seele zu halten. Sie genau so zu pflegen wie seinen Körper und seinen Geist. Für den Textdichter der Kantate gibt es dabei nur einen Weg. Sich genau zu überlegen, wie ich dem begegne, was da in mir ruft, all meine Sehnsucht nach Leben, nach Liebe und was diesem Hunger wirklich Nahrung gibt. Wovon will ich denn wirklich leben und nicht gelebt werden von einem Verlangen, das mich vor sich hertreibt und mich heute dies und morgen ausprobieren lässt. Der Schluss, zu dem der Textdichter kommt findet sich auch zum Schluss. Dort wird zusammengefasst, worum es ihm geht: dass man dem Sinn des Lebens nicht auf der Flucht vor der eigenen Todesangst nachjagen muss. Alles, was mir Halt und Orientierung gibt, ist schon da. „Mein Jesus ist mein Leben." Hier ist für den Textdichter alles zu finden: Orientierung für sein Denken und Handeln, Beistand im Leid, Hoffnung auf neues Leben jeden Tag und auch über dieses Leben hinaus. In ihm war und ist Gott bei den Menschen und der Dichter, der zum Beter wird, erkennt das für sich: „Jesus ist mein Leben, mein Schatz, mein Eigentum... Bleibt Jesus nur bei mir, was frag ich nach der Welt". Alles andere, wie es ebenfalls am Ende heißt, „was mir sonst noch gefällt", mag einem dienen. Auch Gut und Geld, das man schnell, klug und kreativ einsetzt wie der Verwalter in der Geschichte, die Jesus erzählt. Denn ob der Mammon schnöde ist oder nicht - das liegt an uns.

Gebet
Unser Gott, wir möchten Dir danken für alles, was uns gut tut an Leib und Seele und Geist. Hilf uns, die Dinge zu suchen, die uns gut tun und die zu meiden, die uns schaden. Hilf uns, das uns Anvertraute zum Wohle unserer selbst und unserer Mitmenschen einsetzen zu können. Wehre der Leere und der Langeweile in unserem Leben, bewahre uns vor Gier und der Sucht nach immer mehr. Hilf uns, um dieser Welt und um dieser Schöpfung willen das rechte Maß zu finden und zu halten in allen Dingen. Dir vertrauen wir uns an und die, die mit uns leben, in dem wir die Worte miteinander sprechen, die Jesus uns als Gebet geschenkt hat: Vaterunser...

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche
taddiken@thomaskirche.org