Motettenansprache

  • 07.04.2017
  • Pfarrer Hundertmark

7.4.2017, St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr

Liebe Motettengemeinde,

Bilder von mit schmerzverzerrtem Gesicht nach Luft ringenden Kindern und Erwachsenen erreichten uns diese Woche über die medialen Kanäle. Der Giftgasangriff in Syrien mit seinen Folgen offenbart auf schreckliche Weise, was Menschen einander antun können, wenn es um Macht und Machterhalt geht, wenn menschliches Leben zur Kollateralschadensmasse wird. Unsagbares Leid ist über die Menschen in Syrien gekommen. Wir ahnen, welche Folgen das haben wird.

In den letzten Tagen in der Passionszeit verdichten sich die Fragen nach dem Leid. Der Focus liegt dabei auf dem mitleidenden Christus, dessen Kreuzigung wir in einer Woche gedenken.

Schon frühzeitig wurde der Gottesknecht aus dem Prophetenbuch Jesaja auf Jesus Christus hin gedeutet. In Hugo Distlers Motette „Fürwahr, er trug unsere Krankheit“ ist das Motiv vertont. Im Eingangssatz wird der Jesajatext aus dem 53. Kapitel zitiert.

„Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber um unserer Missetat willen ward er verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten.“

Gott begegnet uns als Mitleidender

Es klingt paradox. Einerseits ist Gott weit weg am Kreuz. Andererseits leidet er mit. Für viele Menschen war und ist das ein Skandal. Mit Unverständnis wird darauf reagiert. Ein Gott, der leidet, macht sich klein und büßt dadurch seine Herrschaft ein. Er bricht sich gewissermaßen einen Zacken aus der Krone seiner Allmacht. Bei diesem Gesichtspunkt wird ganz besonders deutlich, wie wichtig die Perspektive von Ostern her ist. Von da aus betrachtet, ist Gott ja genau darin groß, weil er sich klein macht und mitleidet. Der belächelte und mitleidende Gott ist das größte Geschenk, das mir als Mensch zu teil werden konnte. Er zeigt sich mir als ein zugewandter Gott. In Christus ist Gott mir Bruder geworden, Mitmensch. Auch wenn Du, mein liebes Kind, leidest an einem aufgeschlagenen Knie, an Liebeskummer, am Verlust eines Menschen, an schrecklichen Schmerzen, an Sinnlosigkeit oder an Lebensübersättigung – ich dein Bruder Christus Jesus bin mit Dir. Als Mensch kenne ich deine Schmerzen. Ich weiß wie es ist, wenn der Angstschweiß von den Schläfen tropft und sich die Brust zusammenzieht. Ich habe das selbst erlebt am Kreuz. Der Warum-Schrei ist nicht das Letzte, was übrig bleibt; sondern die dargereichte Hand, in der ich meine Seele geborgen weiß.

Gott begegnet uns als Vergebender

Mit Last und Schuld beladen geht der Gottesknecht den schweren Weg des Leidens. Zu Recht ist er auf Jesus Christus hin gedeutet worden, weil die Parallelen nahe liegen. Und wie gesagt, erkannten sich die Jünger mit ihren Gefühlen in diesem Jesaja-Lied wieder. Am Kreuz begegnet uns Gott auch als der vergebende Gott. Wenn Menschen heute Schuld auf sich laden, vielleicht noch die Kraft besitzen, dazu zu stehen, dann ist die Bitte um Vergebung gewiss kein leichter Weg. Auch wird es Verfehlungen geben, die ein Vergeben mehr als erschweren. Wir Menschen kommen hier schnell an unsere emotionalen Grenzen. Gott lädt uns ein, den Kreuzweg zur Vergebung zu gehen. Dabei lastet das Kreuz der eigenen Verfehlungen manchmal schwer auf den Schultern.

Zu wissen, es gibt einen Punkt, zu dem kann ich kommen mit dieser ganzen Last, oft auch Lebenslast, lässt mich nicht verzweifeln, wenn ein Scheitern an den eigenen Unzulänglichkeiten droht, wenn ich es gut gemeint habe, aber doch nur Schlechtes als Ergebnis hervorbrachte. Dass der Tod und das Böse nicht als letzte um die Ecke grinsen dürfen, sondern hinter ihnen am Horizont die ausgebreiteten Arme des vergebenden Gottes leuchten – das lässt mich letztlich leben.

Ein Ausblick

Wer auch immer, schuldig oder stellvertretend für andere leidend, den Weg zum Kreuz geht, weiß sich verbunden mit dem Gottesknecht. Daraus dürfen gewiss keine Opfermythen entstehen, so wie sie in Kriegszeiten missbraucht wurden. Ob die Sühnetodtheologie am Ende nicht die Liebe Gottes ins Absurde führt, mag auch dahin gestellt sein. Was aber als Glaubensgewissheit fest steht ist: Der Gottesknecht damals oder heute ist derjenige, der sich auch von Schmerz und Leid nicht hat abbringen lassen, seinen Weg zu gehen. Er weiß sich verbunden mit dem, der die Würde schenkt. Weder Äußerlichkeiten noch zugefügtes Leid können diese von Gott gegebene Würde nehmen. Amen.

Gebet

Wir stehen vor dir mit unseren Anliegen, barmherziger Gott und bitten Dich:

  • führe uns vor Augen, wo Du uns brauchst, um Leid wenden zu können.
  • stehe du uns bei, wenn wir im Leid zu verzagen drohen.
  • stärke uns, Kreuze zu tragen, die von Hoffnung erzählen gegen jeden Augenschein
  • lass uns an deinen Sohn Jesus Christus denken, der für uns gelitten hat, damit wir an Schuld nicht zugrunde gehen.

In seinem Namen rufen wir zur Dir: Vater unser…

Pfarrer Martin Hundertmark, St. Thomas zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)