Besinnung am Wochenende

  • 25.08.2018
  • Pfarrerin Jutta Michael

Ansprache zu
Mt 25, 40 den Geringsten im Blick
„Sie als Christ müssten doch ... Ihr Christen solltet doch..."

So, liebe Gemeinde, werde ich oder werden vielleicht auch Sie angesprochen. Und dann werden Erwartungen geäußert, wie man sich christliches Verhalten vorstellt und was man von Vertretern des christlichen Glaubens erwartet. Kirche und ihre Vertreter werden gemessen an dem, was sie tun. Das Verhalten, die Haltung der Menschen, die sich Christen nennen, das Engagement der Institution Kirche, das hat seinen Maßstab in dem, was Jesus tat und predigte. Das ist doch eigentlich gut, nicht wahr? Wenn die Haltung des Einzelnen aus seinem Glauben erwächst, das Gott alle Menschen gleich wertschätzt, wenn die Kirche als Organisation sich um die Menschen kümmert, die Jesus von Nazareth zuerst ansah wenn er von der Liebe Gottes sprach, die allen gilt, den Geringsten zuerst. Das ist doch im Sinne dieser Erwartung! Wir finden sie formuliert in den Texten der Bibel.Für den heutigen Abend ist ein Text aus dem Neuen Testament vorgesehen, der dahingehend eine breite Wirkung hat. Die Rede Jesu, die der Evangelist Matthäus im Kapitel 25 überliefert, ist von deutlichen Worten geprägt und zugleich auch irritierend.Matthäus 25 31 Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich setzen auf den Thron seiner Herrlichkeit, 32 und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, 33 und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. 34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! 35 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. 36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen. 37 Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? Oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? 38 Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? Oder nackt und haben dich gekleidet? 39 Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? 40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. 41 Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! 42 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. 43 Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht. 44 Dann werden auch sie antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? 45 Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. 46 Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.

Soweit die Rede Jesu, vom Evangelisten Matthäus überliefert.
Sie hat im Laufe der Zeit verschiedene Überschriften bekommen.
In unserer Lutherübersetzung steht der Text unter der Überschrift „Vom Weltgericht".
Und tatsächlich wird dem, der liest oder hört, was hier steht, ganz klar angesagt: So ist es gut und richtig, dass du handelst und dich verhältst und so ist es falsch.
Dabei tritt Gott als Richter auf, der über Himmel und Hölle, über Heil und Unheil in der Zeit und in der Ewigkeit verfügt.

Zwei Möglichkeiten, auf diesen Text zu reagieren, sind bekannt und verbreitet, über eine dritte möchte ich Sie einladen nachzudenken.

Die erste: Angst. Angst vor einem strafenden Gott. Angst, dass es die Hölle gibt. Angst, dass am Ende des Lebens abgerechnet wird über Taten und Untaten. Diese Angst hat Generationen von Glaubenden bedrängt.
Und hat ihr Leben vergiftet. Denn es war ihnen gesagt wurden: Wenn du etwas falsch machst, kommst du in die Hölle.
Und diese ständige Angst, zu versagen, Falsches und Unerlaubtes zu denken, zu fühlen, zu tun, machte ihnen schon das Leben zur Hölle.

Und so kommt es weit häufiger dazu, dass Menschen damit nichts mehr zu tun haben wollen.
Wen wundert es, dass irgendwann schleichend sich Menschen von dieser Drohkulisse abwanden.
Ihr Leben sollte nichts mehr zu tun haben mit einem Gott, der nur Angst und Schrecken verbreitet.
Sie distanzierten sich, bald spottend, bald verärgert und später auch gelangweilt von einer Vorstellung, die ihnen nicht zum Leben verhalf.
Und nur danach suchten sie.
Denn keiner wird glücklich, wenn Angst im Nacken sitzt.
Niemand wird wirklich zu sich und seinem Platz im Leben finden, wenn andere ihm das sagen und schließlich auch er sich selbst sagen wird, was alles nicht geht und er nicht hinbekommt.
Diese Art zu reagieren auf ein falsch verstandenes Gottesbild ist berechtigt und nachvollziehbar.

Doch die Angst, die gemeint ist, ist viel subtiler als es so plakativ zunächst klingt.
Es ist die Angst, zu versagen.
Die quälende Panik, in den Augen der anderen nicht zu bestehen, das schleichende Gefühl, nicht zu genügen. Nicht perfekt genug, nicht cool genug, nicht erfolgreich genug.
Und gleichzeitig wahrzunehmen, dass es den anderen nicht anders geht, das ist die Hölle.

Und hier bekommt die Drohung unseres Textes eine Richtung, die alles andere als unseren Untergang hinmalt.
Sie ist unsere Rettung.
Diese Worte Jesu ermuntern uns, zu sehen, was vor Augen ist.
Sie befreien uns zu fühlen, was unser Mitgefühl uns sagt:
Verschließ dich nicht vor der Not anderer.
Trau deinen Augen; ja, da ist jemand, dem es schlecht geht.
Folge deiner natürlichen Regung, hilf, unterstütze und frag nicht erst, was dabei heraus kommt für dich.

Denn überall dort bedarf es unserer Menschlichkeit, unseres Mitgefühls und unseres daraus abgeleiteten Engagements.

Und dieses Engagement, das tätige Mitgefühl, lässt sich nicht verschieben und delegieren. Denn es ist der Kern unserer christlichen Haltung.

Aus dieser Grundhaltung der Christen haben sich Einrichtungen wie die Caritas und das Diakonische Werk entwickelt.
Sie übernehmen hoch qualifiziert und professionell diese Aufgabe der Christen in der Gesellschaft.
Doch heißt es nicht, dass damit die Aufgabe hinter dieser Botschaft an diese Institutionen abgeben wird.
Sie bleibt Kern unseres Zusammenlebens, sie betrifft unseren Alltag, sie beschreibt die Art unseres Seins in der Gemeinschaft.
Sie hält uns vor Augen, wo ganz konkret wir in unserem Leben als Christen zu erkennen sein sollten.
Und sie mahnt uns mit Bildern die mehr als ungemütlich sind, was geschieht, wenn wir uns gegenseitig diese allermenschlichste Haltung vorenthalten.
Wir machen uns das Leben gegenseitig zur Hölle.
Aber noch viel deutlicher und gewichtiger sind all jene Worte und Bilder, in denen Jesus wirbt, der Liebe Gottes zu vertrauen, sich von ihr zu wahrem Menschsein befreien zu lassen.
Um daraus zu leben, frei von Angst, frei vom Blick auf sich selbst. Um sich dem anderen, dem Nächsten zu öffnen und an ihm die Barmherzigkeit zu erweisen, die Jesus Christus jedem entgegenbringt.
Denn es ist uns schon lange bewusst, dass wir die gleiche Sehnsucht danach haben, verstanden und angenommen zu werden wie unser Nächster auch.
Amen

Gebet:

Gott, deine Liebe schenkst du uns allen.
Möge sie uns das Herz öffnen für die Not derer, die unsere Nächsten sind.

Wir bitten Dich für alle Menschen, die in Staat und Gesellschaft Verantwortung tragen.
Gib ihnen Wachsamkeit und Verstand, gegen Ungerechtigkeit vorzugehen.

Wir bitten Dich für die in unserer Gesellschaft, die auf die Hilfe anderer angewiesen sind und für diejenigen, denen sie anvertraut sind.
Gib ihnen Geduld und Aufmerksamkeit.
Schenke Vertrauen und Offenheit.

Hilf uns, so miteinander zu leben, dass deine barmherzige Liebe unser Miteinander prägt.

Amen